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Bad Nauheim, den 31.8.1966
Ja, meine Gedichte überleben, aber fragt nicht wie: Vergilbte Bogen, für die wohl kein Museum Herberge anbieten dürfte, geschweige denn der Kopf des modernen Menschen. Was vor fünfzig Jahren geschrieben wurde, kann uns doch heute nicht mehr ansprechen. So sagte ein Philologe zu mir auf meinen Einwand, daß die immerwährende Wahrheit keinem Modegeschmack unter-worfen sei, daß das, was zwischen den Zeilen schwinge, die Größe eines Gedichtes bestimmen würde, daß die Sehn sucht des Menschen, weil sie Himmel und Erde umspannt, doch nicht weniger wahr sei, als der dreiellenhohe Mensch mit seinen meßbaren Bedürfnissen und sezierbarem Körper; "Wir leben in der Welt der Realität und nicht in der Welt der Romantik." Seit dieser Unterhaltung quälte mich die Frage, ist das, was der Mensch sieht, hört und fühlt der ganze Mensch, oder ist die Bejahung der Realität auf Kosten des Metaphysischen nicht eine Flucht vom Ich, das man sich fürchtet zu entdecken. Ein Lehrer der Germanistik fand die Unregelmäßigkeiten in einem auf Regel gebauten Gedicht störend. Ich wies darauf hin, daß ich mit Absicht Apostrophe weglasse, und 'mächtigen Felsenklingen', statt 'mächt'gen Felsen klingen' , oder um dem Gedicht eine gewisse Nonchalanz und Weichheit zu geben, indem ich es der Intuition des Lesers überlasse, den apostrophierenden Vokal leicht mitschwingen zu lassen. Ein Student verwarf die personifizierten, leblosen Gegenstände, wie »zur Mosel spricht der Rhein', es erinnere die moderne Jugend an die Comics, wo jeder Gegenstand spricht. Nach der Unterhaltung fragte ich mich, wäre es nicht besser auf jeden Reim zu verzichten, da die Prosa des modernen Lebens nur in Prosa wieder gespiegelt werden könne. Wie schade, dachte ich bei Alledem, daß das Denkmal, das große und mächtige, nicht meine Gedichte überlebt hat. Dann hätte ich die Ursache der Kontroverse, die Gedichte, verbrannt. Da fiel mir ein, daß ich mit zwei großen Dichtern wenigstens etwas gemeinsam habe - die Kritik. Das war Goethes Resonanz, als er von den Romantikern, als zu klassisch empfunden, und als unmodern abgelehnt wurde: "Ich habe in meinem Beruf als Schriftsteller", so sagte er 1850 zu Eckermann, "nie gefragt: Was will die große Masse und wie nütze ich durch meine Dichtung dem Ganzen, sondern ich habe immer nur dahin getrachtet, mich selbst einsichtiger und besser zu machen, den Gehalt meiner eigenen Persönlichkeit zu steigern und dann immer nur auszusprechen, was ich als gut und wahr erkannt hatte." Als man Goethe, der seinem Sohn verboten hatte, in den Befreiungskrieg von 1813, einzuziehen, scharf kritisierte, ließ er sich mündlich und schriftlich gegen den Sprachpatriotismus aus und warnte kurz vor seinem Tode, im März 1832 vor "engagierter Literatur". "Sowie ein Dichter politisch werden will ..., ist er als Poet verloren; er muß seinem freien Geiste, seinem unbefangenen Überblick Lebewohl sagen und dagegen die Kappe der Borniertheit und des blinden Hasses über die Ohren ziehen." Heine, dem antisemitische Kritiker gar vorwarfen, daß er, der nach Frankreich emigrierte, noch wage, deutsch zu schreiben, antwortete: "Seid ruhig, ich werde den Rhein nimmermehr den Franzosen abtreten, schon aus dem einfachen Grunde: weil mir der Rhein gehört. Ja, mir gehört er, durch unveräußerliches Geburtsrecht, ich bin des freien Rheines noch freierer Sohn, an seinen Ufern stand meine Wiege, und ich sehe gar nicht ein, warum der Rhein irgend einem anderen gehören soll, als den Landeskindern." Ich entschloß mich also, meine romantischen Gedichte doch noch zu zeigen, fügte aber nicht um die Kritik zum Schweigen zu bringen - denn auch die ungerechteste Kritik kann größeren Wert haben, als Schmeichelei - sondern um lediglich dem dichterischen Gefühl, so unzeitgemäß es sich auch auszudrücken vermag, eine Lanze zu brechen, folgendes Gedicht an: G096 An die Kritiker Meßt mit eurem Lehrerstab Anapäst, Trochäen Jamben, teilet ein des Dichters Nöte: Distichon und Dithyramben. Und ihr Ellenbogenjugend schlagt auf die Romantik ein, gebt dem Akt den nackten Namen: Goldnes Kalb wird goldnes Schwein. Doch es gibt ein menschlich Sehnen das dem harten Alltag spottet, das nicht die Vernunft anbetet, doch was unwägbar vergottet. Weh dem Dichter, dessen Schöpfung Märkte aufsucht, um zu gleißen, Weh dem Wert, der Freunde wirbt.- Freund und Zeitgeschmack verschleißen. Wem Gefühle unabdingbar, läßt sich nicht vom Tage leiten, Dichter feilsche nicht um Beifall, dann wird Nachwelt dich begleiten. William Hermanns [G096]
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